Neulich hatte ich eine besondere Begegnung. Ich durfte als Mitglied eines Vocalensembles mit dem bekannten jordanischen Pianisten, Karim Said, arbeiten. Die Presse hatte sich angekündigt und je näher die Probe rückte, desto aufgeregter wurde ich.
Die Probe begann, wir arbeiteten sehr diszipliniert und ich fühlte mich ein wenig wie ein Kind, das bei einem
autoritären Lehrer brav den Finger hebt und inständig hofft, ja nicht durch falsche Antwort negativ aufzufallen. Ich war ein wenig ehrfürchtig und voller Bewunderung und fragte mich während der Probe immer wieder, warum ein Profi, wie Karim Said, mit unserem Laien-Ensemble arbeiten will?!
Karim ist elf Jahre jünger als ich und trotzdem machte ich mich irgendwie innerlich klein. Das ist ein Muster,
was ich gut aus meiner Biographie kenne: Die anderen sind mehr wert als ich. Kein Wunder, verließ mein Vater Hals über Kopf unsere Familie und gründete eine neue Familie, für die er dann tagtäglich da war. Die neuen Kinder waren offensichtlich mehr wert und deutlich wichtiger als ich.
Das Gute ist, dass ich durch jede Menge innere Arbeit dieses Muster mittlerweile sofort erkenne und mir
vergegenwärtige, dass diese in der Kindheit geprägte Annahme nicht mehr aktuell, nicht mehr realistisch ist. So gelingt es mir dann schnell, mich innerlich wieder aufzurichten und mir selbst zu sagen: „Ich bin richtig und
wichtig!“. Oder anders gesagt: „Vor Gott sind alle Menschen gleich“ oder „Der kocht auch nur mit Wasser“ oder „Es regnet auf alle Dächer“… Kurz gesagt – kein Mensch ist besser oder wichtiger als ein anderer. Ich schaffe es so, mich in mein Erwachsenen-Ich zu begeben und entsprechend erwachsen zu reagieren. Und
das bedeutet Freiheit.
Am Ende des Abends verkündete Karim übrigens, dass er mit uns zum allerersten Mal einen Chor dirigiert hat. Wenn ich es recht überlege, wirkte er auch ein kleines bisschen aufgeregt und unsicher, als er uns das erste Mal (mit seinem inneren Kind im Herzen) gegenüber stand…

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